Lange Zeit hatten Kinder keine eigenen Räumlichkeiten: Das Kinderzimmer im Privatwohnraum entsteht erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts zunächst in den ge-räumige gewordenen Wohnungen des Großbürgertums und am Ende des Jahrhunderts auch in den Häusern der Arbeitersiedlungen. Die Kinder können in diesem Zimmer spielen ohne die Erwachsenen zu stören und finden dort genügend Ruhe zum Schlafen. Ab den 1870er Jahren erhält das Kinderzimmer eine eigene Gestaltung.
Die Engländer sind die ersten, die sich über die Freude und die Erziehung ihres Nachwuchses Gedanken machen. Parallel zur Verbreitung des Bilderbuchs entwickelt sich bald ein Markt rund um das Kinderzimmer (nursery). Auf den Tapeten sind tanzende Kinder zu sehen, spielende Kinder mit Reifen und Puppen, aber auch Faulpelze und Zirkusfiguren. Nach der raffinierten Ästhetik des Jugendstils kommen in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen erstmals Dekore auf den Markt, deren Design dem kindlichen Verständnis besonders angepaßt ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kann man an der Gestaltung der Kindertapete die allgemeine Entwicklung des Designs ablesen: kleine blasse und graphische Zeichnungen in den 1950er bis 1960er Jahren, große Motive in klar voneinander abgehobenen Farben in den 1970er Jahren, kleine Bildchen in Pastelltönen in den 1980er Jahren und verspielte Figuren in gesättigten Farbtönen seit den 1990er Jahren. Die Kinder kaufen sich nicht nur ihre Kleidung und ihre Computerspiele selbst, sie bestimmen auch immer früher, wie die Dekoration ihrer Zimmer aussehen soll. Der Markt passt sich dem Geschmack der Kinder an, die zu Kaufentscheidern geworden sind. Comic-Helden und Zeichentrickfiguren, Autorennen, Rockmusik, Graffiti und Skater nehmen ihren Platz in den Medien ein und erobern gleichzeitig die Wände der Kinderzimmer.
Seit dem Anfang des 21. Jahrhunderts erlebt die Tapete in der Innendekoration einen neuen Aufschwung. Die Hersteller reagieren darauf und bieten heute eine reiche Auswahl an kreativen Dekoren, Tapeten zum Ausmalen, Wandstickern, Vintage-Patchworks, personalisierten Panoramadrucken oder auch Leuchttapeten. Das Kind bestimmt sein Leben selbst und erschafft sich ein Universum nach seinen Vorstellungen…
Isabelle Dubois-Brinkmann, Kuratorin, Tapetenmuseum Rixheim