Entwurf, Herstellung, Vertrieb
Diese Ausstellung widmet sich der Tapete aus der Zeit des Jugendstils, dem Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, und ist nicht die erste, die das Tapetenmuseum zu diesem Thema organisiert. Von 1997 bis 2002 hat die Wanderausstellung Jugendstiltapeten die Grundlagen zu einer besseren Kenntnis der Tapeten aus dieser Zeit gelegt und dabei auf die reichhaltigen in Rixheim bewahrten Bestände zurückgegriffen. Sie gab den Anstoß zu weiteren Arbeiten, die sich vor allem mit der konkreten Verbreitung dieser Produkte beschäftigten. Die aktuelle Ausstellung möchte einen Überblick über die neuen Forschungsergebnisse geben, die Jérémie Cerman im Rahmen seiner Doktorarbeit vorgelegt hat und die 2012 als Buch veröffentlicht wurden (Le papier peint Art nouveau. Création, production, diffusion, Paris, Éditions Mare & Martin).
Von der Erneuerung der Tapete durch William Morris und die Künstler der Arts and Crafts-Bewegung in England bis zur Entstehung des Jugendstils in Kontinentaleuropa erfährt die Tapete größte Aufmerksamkeit auf den Bühnen der europäischen Kunst. Die Entwürfe wichtiger Künstler der Epoche wie Hector Guimard kommen allerdings nur in begrenztem Umfang zum Einsatz, und wenn Vertreter der dekorativen Kunst mit der Industrie zusammenarbeiten, so wird damit doch nur ein verschwindend kleiner Teil der Tapetenproduktion abgedeckt, die auf den Markt kommt. Gleichzeitig aber entwickelt sich bei den Tapetenherstellern und den spezialisierten Zeichnern, die sie beauftragen, eine vom Jugendstil inspirierte Ästhetik, sodass die entsprechenden Motive ab 1900 für einige Jahre auf einem Großteil der vermarkteten Kollektionen zu finden sind. Die Tapetenindustrie greift den neuen Stil auf und druckt maschinell preisgünstige Produkte, sodass er auch unaufhaltsam Einzug in die Raumgestaltung der Belle Époque hält.
Außerdem sollen verschiedene Werbeträger für Tapeten die Kunden zum Kauf anregen, indem die Titelblätter und auch die Werbeprospekte selbst im entsprechenden Stil gestaltet sind. Einige Belege bezeugen schließlich die konkrete Verwendung von Jugendstiltapeten, von in situ erhaltenen oder abgenommenen Überresten bis hin zu alten Fotografien damaliger Interieurs mit tapezierten Wänden. Sie zeigen, dass Tapeten mit diesem Design den Alltag aller sozialer Klassen verschönern, wodurch die Ideale des Jugendstils zumindest teilweise verwirklicht werden.
Nach einer langen Zeit der Verspottung geht der Jugendstil schließlich in die Geschichte ein und inspiriert die Zeichner immer wieder neu. So greifen einige Pop-Tapeten der 1960er und 1970er Jahre das Musterrepertoire der Belle Epoque wieder auf, und die Tapeten vom Anfang des 21. Jahrhunderts zeichnen sich durch eine „Rückkehr zum Motiv“ aus, wobei ebenfalls Neuinterpretationen des Jugendstils zu finden sind.
Diese Ausstellung entstand im Rahmen einer Zusammenarbeit des Tapetenmuseums Rixheim mit dem Centre André Chastel, einer Forschungseinrichtung für Kunstgeschichte in Paris. In der Ausstellung sind Leihgaben der Pariser Bibliothek Forney, der Industriellen Gesellschaft Mulhouse, des Stoffdruckmuseums Mulhouse sowie privater Sammler zu sehen. Die Unternehmen Barrisol aus Kembs, InCréation aus Paris und Allegretti Antiquitäten aus Mulhouse haben großzügig zur Entstehung der Ausstellung beigetragen und die Tapetenhersteller Sanderson und Cole & Son haben dem Museum mehrere Schenkungen gemacht.
Konzeption und wissenschaftliche Betreuung: Jérémie Cerman, Dozent für Kunstgeschichte, Universität Paris-Sorbonne, Centre André Chastel. Isabelle Dubois-Brinkmann, Kuratorin, Tapetenmuseum Rixheim.